#ichgehwählenchallenge2017 – neue Wege zur Partizipation über Instagram?

fraumachtpolitik ichgehwählen
Kea von Garnier Initiatorin der #ichgehwählenchallenge2017 auf Instagram

Ich bin zu Beginn der Woche auf einen Post von kea_schreibt auf Instgram aufmerksam geworden. Kea ruft zur #ichgehwählenchallenge2017 auf und hat dazu einen kleinen thematischen Katalog entwickelt.

Ich fühle mich durch solche Posts direkt angesprochen und habe ihr geschrieben und sie um ein Interview gebeten. Kea hat mir kurzfristig einen Einblick in ihre Motivation gegeben mir ihre Motive für ihren Antrieb verraten. Im Real-Life ist Kea Poetin & Bloggerin. Essayistin. Feministin. | Freie Autorin und Grafikerin aus Berlin.

Hier für euch das exklusive Interview mit Kea:

Du bist Initiatorin der Instagram #ichgehwählenchallenge2017. Aus welchen Gründen ist dir das Thema so wichtig?

Ich habe diese Challenge ersonnen, weil ich das Gefühl habe, dass online vor allem diejenigen am Lautesten sind, die politisch am rechten äußeren Rand stehen. Wenn ich die Kommentare auf den großen Nachrichtenseiten scanne, wird mir regelmäßig schlecht.

Dort steht so viel Fremdenfeindliches, Sexistisches, Homophobes – oftmals unwidersprochen.

Ein aktuelles Beispiel: AfD-Politiker Gauland wurde auf einer Wahlkampfveranstaltung für folgende Worte über die türkischstämmige Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration bejubelt: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

Man sollte meinen, das jeder vernunftsbegabte Mensch diese Äußerung als rassistisch verurteilt – aber in einer Leser-Umfrage auf welt.de wird gefragt, ob diese Aussage beleidigend sei oder einfach „normaler Wahlkampf“. Und 80% von rund 25.000 abgegebenen Stimmen finden solche Aussagen im Wahlkampf statthaft. Da frage ich mich manchmal wirklich, ob alle verrückt geworden sind.

 

Die Challenge ist dazu da, die schweigende Mehrheit der Gesellschaft, die dieser Haltung nicht zustimmt, sichtbar zu machen. Denn viel zu oft melden sie sich höchstens im privaten Rahmen zu Wort, was zur Folge hat, dass im Netz ein absolut verzerrtes Bild entsteht und sich die, die Rassismus legitim finden, sicher und mächtig fühlen können.

Außerdem soll die Challenge Lust machen auf politischen Dialog und die Bundestagswahl.

Die Themen Demokratie und Gesellschaft sind keine lästige Pflicht sind, sondern Privileg und Chance.

Wie genau hast du den Ablauf geplant und wie bist du zu deinen Fragen gekommen?

Ich habe die Fragen ganz bewusst sehr offen und niedrigschwellig gestaltet – an zehn aufeinanderfolgenden Tagen beschäftigen wir uns ab dem 1.9. mit Fragestellungen wie „Wie wurde/wird bei euch zuhause mit Politik umgegangen?“, „Warum bist du politisch engagiert oder warum nicht?“, „Was für Wünsche hast du an eine Regierung?“ – da geht es also um die eigenen Werte,  darum, mal zu schauen, was Politik mit dem eigenen Leben für Berührungspunkte hat. Ich denke, dazu kann jede/r was sagen, man braucht kein abgeschlossenes Politikstudium, um mitzumachen. Eine Challenge für alle, die Lust auf Dialog haben. Ich hoffe, wir werden wieder so eine konstruktive und wertschätzende Atmosphäre haben, wie zuletzt bei der #femaleempowermentchallengede, bei der eine Wahnsinnsenergie aufkam und sich viele Menschen ausgetauscht und gefunden haben. Das war ein bißchen so ein Klassenfahrtsgefühl, nur eben digital. Das wünsche ich mir auch für diese Challenge. Weil dann vielleicht der Funke überspringt und die TeilnehmerInnen merken, dass es Spaß machen kann, sich in die politische Debatte einzubringen. Übrigens ist es kein Zwang, die Fragen an allen zehn Tagen zu beantworten, auch einzelne Beiträge sind gern gesehen. Und natürlich kann mit ganz normalen, zum Feed passenden Fotos teilgenommen werden – die Stellungnahmen gibt es dann eben im Text dazu.

Ist Instagram nicht „zu schön“ für Politik?

Ich sehe es so: Dass wir die Freiheit und den Luxus genießen, uns auf Instagram um Dinge wie Vasen, Lippenstift und Backrezepte kümmern zu können, ist nicht selbstverständlich. Es gibt so viele Menschen auf der Welt, denen es am Existentiellsten fehlt, die in Ländern leben, in denen es keine Meinungsfreiheit gibt, die mit Gewalt, Krieg, Armut leben müssen. Wir verdanken unseren hohen Lebensstandard der freien und offenen Gesellschaft, in die wir hineingeboren sind. Dann darf das Bemühen, sie als solche zu erhalten, sich nicht auf ein Kreuz am Wahltag beschränken. Dann müssen wir sie als einen lebendigen Organismus begreifen, an dem wir selbst mitwirken, jeden Tag. Für mich als Poetin ist Instagram schon lange nicht mehr nur die Welt des schönen Scheins – Instagram ist das, was wir daraus machen. Es ist eine Plattform mit hoher Interaktionsrate und zum Beispiel höheren Followerzahlen als Facebook – und wenn man nicht gerade dort den Aufruf zu mehr Beschäftigung mit Politik und Gesellschaft zum Thema macht, wo sich Influencer tummeln, wo denn dann? Ich sehe es als großartige Chance!

Du bist selbst bereits kommunal-politisch aktiv gewesen: Welche Erfahrungen konntest du in dieser Zeit sammeln?

Stimmt, ich war nach der Leitung der lokalen Jugendorganisation von Bündnis 90 die Grünen im Anschluss drei Jahre Stadtverordnete in Wiesbaden, nach meinem Teilzeit-Umzug nach Berlin gab ich mein Mandat ab. Es war eine lehrreiche Zeit, die mir gezeigt hat, dass Berufspolitikerin für mich persönlich nicht der richtige Weg ist. Weil ich mit der Arbeit, die die Grünen im Rathaus machten, nicht glücklich war, trat ich aus der Fraktion aus. Mir fehlten damals, ehrlich gesagt, auch ein paar junge MitstreiterInnen, die mit mir zusammen etwas hätten bewegen wollen. Ich war dann noch eine Weile fraktionsloses Parlamentsmitglied. Aber man braucht natürlich den Zusammenhalt einer Partei, um auf Parlamentsebene etwas zu erreichen.

 

Was mir am politischen Alltag missfiel, war zum Beispiel der Fraktionszwang – eigentlich soll es ihn nicht geben, trotzdem ist er parteiübergreifende Praxis. Bis auf die KollegInnen von der Linken gab es da nur sehr wenige Ausnahmefälle, in denen sich Parteimitglieder dazu entschlossen, anders abzustimmen, als die Fraktion. Oft wusste man von einzelnen Mandatsträgern, dass sie eine andere Meinung vertraten – die verließen dann bei der jeweiligen Abstimmung zufällig für eine Toilettenpause den Saal.

Außerdem tat ich mich schwer mit Show-Debatten für die Presse. Nach dem verbalen Schlagabtausch, der nur dazu diente, den Medienvertretern ein paar Happen zum Fraß vorzuwerfen und sich gegenseitig, teils auch persönlich, zu attackieren, saß man hinterher fröhlich bei einem Bier zusammen. Es ging zu oft darum, die Partei in der Öffentlichkeit in gewünschter Weise zu positionieren, als um den Inhalt. Als eine FDP-Politikerin das einmal anmahnte, wurde ihr Aufruf dazu, sich geschlossen dem Thema zu widmen, über das eigentlich Konsens herrschte, als Schmusekurs belächelt.

Zu guter Letzt muss man wissen, dass ein PolitikerInnen-Dasein auch viel mit Stimmenfang zu tun hat – auf Volksfesten, Karnevalssitzungen, Weinfesten. Da werden Parteimitglieder als Stimmvieh mit Bussen zu Listenabstimmungen gekarrt, denen beim letzten Parteisommerfest ein Spanferkel serviert wurde. Das war für mich einfach absurd. Aber so funktioniert es leider. Vielleicht könnte man an diesem System etwas ändern – aber dafür bräuchte es ein Umdenken in den Köpfen von PolitikerInnen UND BürgerInnen. Denn die erwarten oft genau dieses Verhalten, genießen mit einem gewissen Voyeurismus das öffentliche Zerfleischen und lassen sich gern beim Grünkohlessen Honig um den Bart schmieren. Politik ist aber kein Entertainment-Programm. Zumindest sollte sie das, in meinen Augen, nicht sein.

 

Ich möchte die Zeit als Stadtverordnete dennoch überhaupt nicht missen – ich habe einen guten Eindruck davon gewonnen, wie politische Arbeit funktioniert. Mitzuerleben, das Ziel, das man sich gesetzt hat, eine Mehrheit findet und damit den Menschen vor Ort wirklich und ganz konkret hilft – das ist ein tolles Gefühl! Dafür macht man es!

Ich habe außerdem gelernt, wieviel Aufwand nötig ist, eine Stadt zu organisieren, von einem Land mal ganz zu schweigen. Das unterschätzen viele. Man meckert gerne über die da oben, aber oft, als ich im Bus saß, um nach einem Arbeitstag zu einer langen Sitzung zu fahren, die oft erst um 23 Uhr endete, blickte ich um mich und dachte: Für die meisten Menschen ist das alles selbstverständlich – dass der Bus fährt, dass der Müll abgeholt wird, dass es Beratungsstellen und Museen gibt. Aber das ist es nicht. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Politik funktioniert, wie hart und leidenschaftlich da gestritten, gearbeitet und nach Kompromissen gesucht wird, fände ich es fast ratsam, dass jede Bürgerin und jeder Bürger zu Beginn seiner aktiven Zeit als WählerIn mal einer solchen Sitzung beiwohnt. Es ändert den Blick. Gerade die Notwendigkeit von Kompromissen kann man anders, glaube ich, fast nicht verstehen.

Was hat letztlich dazu geführt, dass du für dich beschlossen hast, diesen Weg nicht mehr zu gehen bzw. wie möchtest du dich in deinem Leben weiter politisch einbringen und aus welchen Gründen ist dir das wichtig?

Aus den oben beschriebenen Gründen habe ich festgestellt, dass ich als Berufspolitikerin nicht wirklich tauge. Mittlerweile bin ich auch kein Parteimitglied mehr und engagiere mich lieber, indem ich als Bloggerin und Autorin in Erscheinung trete oder eben durch meine Teilnahme an Demonstrationen, Petitionen oder eben dieser Challenge.

Ob ich jemals wieder in einer Partei aktiv werde? Ausschließen möchte ich es nicht, geplant ist es aber auch nicht. Definitiv müsste es eine Lebensphase sein, in der ich genug Energie habe, mich auf diese Aufgabe zu konzentrieren, als Selbstständige war das nicht immer der Fall. Und ich müsste mich umgeben wissen von Menschen, die mit dem Platzhirschgehabe auf dem politischen Parkett ebenfalls nichts anfangen können und wollen – und die andere Wege finden, ihre Themen zu setzen, als mit dem Motto, wer am lautesten brüllt, hat Recht.

Vielen Dank Kea.

Kea schreibt

Du bist neugierig auf die Challenge und möchtest dich beteiligen? Dann mach doch mit auf Instagram bei kea_schreibt. Du findest Kea auch bei Facebook. Hier gibt´s auch schon viele Raktionen auf ihren Aufruf zur Challenge. Ich finde solche Formate unglaublich spannend und freue mich auf viele Posts unter diesem Hashtag #ichgehwählenchallenge2017. Am 1. September werde ich natürlich auch meinen Beitrag posten. Kea liefert mir mit ihren Anregungen eine Steilvorlage um auch die ersten Begriffe für diesen Blog und für mich noch einmal zu überdenken. Ihr werdet davon hier lesen können. Hier die Themen im Überblick:

kea schreibt ich geh wählen challenge 2017 frau macht politik
#ichgehwählenchallenge2017

Hier gehts zu allen öffentlichen Beiträgen der Challenge.

Ich freue mich auf deinen Beitrag: Bist du dabei?

Birgit

P.S.: Da es sich hier um ein Interview handelt sollte klar sein, dass ich die Meinung der Interviewten darstelle, aber nicht werte. Ich bin auf Spurensuche für diesen Blog. Daher kommen Menschen zu Wort um über ihre Haltung zu (kommunal-) politischen Enagement zu sprechen. Da gibt es kein Richtig und kein Falsch, da kann es nur Dialog geben. Und dazu lade ich dich herzlich ein.

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4 Kommentare zu “#ichgehwählenchallenge2017 – neue Wege zur Partizipation über Instagram?”

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